Beschreibung
Im Sommer 2005 wurde der zweistufige internationale Wettbewerb zum Bauhaus Europa ausgeschrieben. Grundlage für den Wettbewerb war u. a. eine kuratorische Studie von Okwui Enwezor und eine Projektstudie von OMA/AMO.
Im Jänner 2006 wurde die zweite Stufe des Wettbewerbs Bauhaus Europa entschieden. Das Projekt von Wolfgang Tschapeller Architekten wurde von der Jury zur Ausführung empfohlen.
Im Sommer 2006 stimmte die Stadt Aachen mehrheitlich für die Errichtung des Bauhauses Europa. Etwa gleichzeitig wurde ein Antrag - unterstützt von ca. 10.000 Unterschriften - von Bauhaus-Gegnern zur Abhaltung einer Volksabstimmung eingebracht. Aachen sah für Dezember 2006 eine Volksabstimmung vor.
Am 10.12.2006 nahmen in der Stadt Aachen von 180.000 Wahlberechtigten 80.000 an einer Volksbefragung pro und contra Bauhaus Europa teil. Von diesen 80.000 Wählern stimmten 60.000 gegen das Projekt Bauhaus Europa.
Einige Aspekte des Streits um das Bauhaus Europa sind dokumentiert in:
Bauwelt 6/ 06, 3.02.06 97. Jahrgang
Bauwelt 42/ 06, 3.11.06 97. Jahrgang
Bauwelt 46/ 06, 1.12.06 97. Jahrgang
Bauwelt 47/ 06, 8.12.06 97. Jahrgang
FAZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.12.2006, Nr. 286 Feuilleton S. 40
Bauwelt 1-2/07, 5.01.07 98. Jahrgang
jeweils Artikel und Leserbriefe zum Projekt „Bauhaus Europa Aachen“
Der Katschhofstreit in Aachen
Bauwelt 42.06, 3. Nov. 2006, 97. Jahrgang
mit Beiträgen von A.Naujokat, Monika Krücken, Jan Pieper
Europäisches Kulturzentrum „Bauhaus Europa“
Bauwelt 6/06, 3. Februar 2006, 97. Jahrgang
Europäisches Kulturzentrum Aachen
Wettbewerbe Aktuell 4/2006
Der Akt der konstruktiven Setzung
Elke Krasny 12/2006
Der Entwurf des Bauhauses Europa von Wolfgang Tschapeller zeigt, was die Gegenwart für einen Raum schaffen kann, wenn die kulturelle Gewordenheit Europas reflektiert wird. Was beispiellos mit konsequenter Radikalität in dreidimensional Weiterzudenkendes übersetzt wird, ist die Definition eines Gebäudetyps, den es so noch nie gegeben hat – ein Bauhaus Europa, lokalisiert im Katschhof im Herzen der Aachener Innenstadt. Ein Bau, in dem Europa als Geschichte, Gegenwart und Zukunft verhandelt, diskutiert, erschaut werden soll. Ein Gebäude, das von einer Verräumlichung von Programm und Programmatik ausgeht. Das ist mutig!
Der Entwurf setzt einen Akt der Konstruktion, die sich an Bestehendes weder anbiedert noch dieses schmählich ignoriert. Ganz im Gegenteil, der konstruktive Akt reanimiert die Verbindungslinien des historischen, stadträumlichen Ordnungssystems – römisch traf auf karolingisch traf auf postindustriell – und einer inhaltlich-kuratorischen Weiterführung dieser gedachten Linien. Die Topologie stadträumlicher Schichtung setzt das Außen im Inneren fort. Der durchgehende Innenraum wird vom Katschhof erschlossen und faltet Funktion wie Intention auf, Eingangsebene als Dauerbespielung, die Untersicht als verlaufende Grenze zu Wechselausstellung und Forum, Forschungs- und Lehrbereiche als tektonisches Wolkensystem darüber. Die Transparenz, die nicht alles auf einen Blick erschließt, ist programmatisch.
Die Verschmelzung von interpretierender Deutung und transformierender Aktualisierung manifestiert sich in den entwurfsleitenden und raumkonstituierenden Worten von Index als Karte der Gesamtheit europäischer Geschichte und Lesebalken. Die Essenz westlichen Denkens ist stadträumlich manifest, Rathaus und Pfalzkapelle, dazwischen der imperiale Weg. Trockenen Fußes bewegte sich der Herrscher auf einem überdachten Steg zwischen weltlichem und geistigem Machtzentrum. Aus dem Weg des Herrschers wurde sprichwörtlich der Königsweg als optimale Lösung eines Problems.
Das Bauhaus Europa könnte den Spuren wörtlich wie räumlich folgend zum Königsweg werden, das Gewordene und das Werdende als Passage begreifen mit Raum für mythische Projektionen, vor allem deren Verständnis. Der Königsweg rotierte als erster Entwurfsgedanke über dem Grundstück. Diese Vorstellung füllt sich als beweglicher Bauteil mit Leben. Der Lesebalken ist die privilegierte Betrachterposition, schafft Überblick. Die Position der Schauenden wirft ihre Schatten auf die Karte der Ereignisse, die sich unter ihnen befindet. Die Ereignisse, die sich unter ihnen lokalisieren, haben ihre langen Schatten geworfen. Die Schatten werden immer länger, aber sie sind in ständiger Bewegung. Der Lesebalken auch. Projektionen sollen eine große Rolle spielen dürfen. Für die, die vorbei gehen, ist das Gebäude nie selbstident, es bleibt in Bewegung. Man muss sich seines Standortes vergewissern, wie sich der Lesebalken zum Index gerade verhält. Das Bauhaus Europa fasst Raum-Zeit als Zeit im Raum, als Raum in der Zeit. Die gefaltete Karte mit ihren Linien, ihren Höhen, Schichten, Tiefen, setzt auf Einblicke von außen, auf Einblicke in die immer wieder überschreibbaren Zuordnungen im Index. Es gibt freie Bereiche, Leerraum als Reserve bis 2800. Das ist erfrischend in einer Zeit, in der die Sammlung des Gewordenen den Blick auf Zukünfte permanent verstellt.
Aachen. Jänner 2006, TWA:
Das neue Kulturzentrum in Aachen nimmt unter den zeitgenössischen Architekturprojekten eine außerordentliche Stellung ein. Zum einen wurde ein einzigartiger Bauplatz gewählt: ein Grundstück in der Stadt Aachen, das an den Raum zwischen der Pfalzkapelle und dem Rathaus angelagert ist. Folgt man den kuratorischen Überlegungen von Okwui Enwezor, so stellt das Double von Pfalzkapelle und Rathaus in Aachen mit dem ehemals dazwischen liegenden Verbindungsgang ein materialisiertes Grundelement der europäischen Kultur dar. Der Dialog von kirchlicher und weltlicher Macht wird durch die Gebäude der Königshalle (Rathaus), der Pfalzkapelle und dem Verbindungsgang "objektiviert".
Zum anderen ist ein europäisches Kulturzentrum kein definierter Gebäudetyp. Es ist ein Gebäudetypus, der erst definiert werden muss. Das europäische Kulturzentrum in Aachen wird kein Museum sein, es wird kein Denkmal sein, es wird nicht nur Präsentationsfläche sein. Im Mittelpunkt wird Europa als kulturelle Textur stehen und es wird eine Einrichtung der Reflexion und Projektion werden. Reflexion bedeutet Erkennen und Nachvollziehen der vergangenen europäischen Gestalt und Projektion wird den Versuch bedeuten, die europäischen Projekte der Zukunft zu materialisieren, anzudeuten.
Das europäische Kulturzentrum in Aachen wird permanente und wechselnde Ausstellungsbereiche, Bildungs-, Informations- und Forschungsbereiche im Ausmaß von rund 3.900m2 enthalten. Ein Forum mit einem großen Ratsaal für Kongresse und Sitzungen des Stadtsenats wird ca. 400m2 umfassen. Ebenso enthalten sein werden die erforderlichen Verwaltungseinheiten, Werkstätten, gastronomische Bereiche, Shops, Lager und dergleichen.
Konzeptuell wird sich das neue Kulturzentrum in Aachen aus 2 Elementen zusammensetzen:
Der LESEBALKEN: Der historische Verbindungsgang zwischen Königshalle und Kapelle war ein prägnantes tektonisches Element. Das Projekt bezieht sich auf die Erinnerung dieses Verbindungsganges. Es löst ein Fragment aus dem historischen Verbindungsgang und rotiert dieses über die Grundstücksfläche. Es entsteht eine langsam rotierende, stetig über das Grundstück scannende Bewegung, eine Art Mobile, das den Besucher mit ständig wechselnden Positionen konfrontiert.
Der INDEX: Eine riesige gefaltete und begehbare Karte, eine Art unendliches Dokument wird über das Grundstück gebreitet. Es ist die Niederschrift der europäischen Geschichte, ihr Index sozusagen. Dieser INDEX, der zu Beginn nur die wesentlichsten Koordinaten kartographiert, wird graduell aufgebaut. Schritt für Schritt wird die riesige gefaltete Fläche beschriftet, moduliert und mit Bilddokumenten und Soundemittern, Objekten und Schriften besetzt. Projektionen werden horizontale, vertikale und gekrümmte Flächen ständig neu überlagern.
Die Oberflächentektonik des INDEX reagiert auf die wesentlichen Ereignisse der Geschichte. Oberflächenspannung, Einbuchtungen, Neigungen und Öffnungen formen die Erzählung. Okwui Envezor sagt: „[...] verdichtet sich sozusagen die Zeit, nimmt Gestalt an, wird künstlerisch sichtbar. Desgleichen wird der Raum angereichert und geht auf die Bewegungen von Zeit, Handlung und Geschichte ein.“ Enwezor sagt auch: „Die Geschichte ist das Objekt.“
Knotenpunkte der Geschichte werden auf das Grundstück aufgetragen. Sie werden dem Grundstück und den funktionalen Anforderungen an das Grundstück überlagert. Geschichte, Knotenpunkte der Geschichte, werden auf topographische und funktionale Gegebenheiten gelegt.
Die Rekonstruktion, die rekartographierte Geschichte wird zum Objekt. Dieses Objekt bezeichnen wir als INDEX. Auf der Ebene der Information ist der INDEX eine Übersicht über Ereignisse der europäischen Geschichte. Auf der Ebene der Physis ist der INDEX eine Konstruktion, ein Trägermaterial wie eine Karte, das Knotenpunkte der Geschichte materialisiert.
LESEBALKEN und INDEX ergeben ein Doppel wie PFALZKAPELLE und KÖNIGSHALLE.
Auf der INNENSEITE des Index wird die PERMANENTE AUSSTELLUNG platziert. Sie ist das Objekt, die Geschichte also, wie Enwezor sagt. Der INDEX ist die PERMANTE AUSSTELLUNG. Auf der AUSSENSEITE des Index wird die WECHSELAUSSTELLUNG positioniert. Sie kann unabhängig vom INDEX sein. Sie kann jedoch auch gezielt KNOTENPUNKTE des INDEX erläutern.
Die TRÄGEREBENE des INDEX trennt OBERSEITE von UNTERSEITE, INNENSEITE von AUSSENSEITE. Die Trägerebene des Index wird eine Spantenkonstruktion sein. Die Oberfläche wird eine MONTAGEFLÄCHE sein, zusammengesetzt aus Einzeltafeln, die je nach Bedarf demontiert und wieder montiert werden können. So lässt sich die räumliche Durchlässigkeit zwischen permanenter Ausstellung und Wechselausstellung steuern.
Räumliche Verbindungen und Durchdringungen zwischen Index und Wechselausstellung sind beliebig je nach Bedarf der Ausstellungskonfiguration gestaltbar. So können thematische und räumliche Verknüpfungen von Index und Wechselausstellungen oder vertiefenden Ausstellungen entstehen. Mit mobilen Gangways entstehen immer wieder neue Besucherwege.
Die Flächen der gewölbten Indexfläche sind prinzipiell begehbar. Die Neigungen der Indexflächen sind weitestgehend der umliegenden Stadt entnommen. Hauptwege werden mit vertieften oder aufgelegten Stufen auf das Gelände konstruiert. Der kantenfreie, nur durch die Markierungen der Geschichte gezeichnete Raum ist begehbar. GESCHICHTE WIRD BEGEHBAR. Geschichte kann durchwandert werden. Das Erschließen des INDEX wird zur kuratorischen Aufgabe. Der Kurator kann Wege seiner Wahl über den INDEX legen.
Hoch über dem INDEX, der historischen Übersicht, liegt der LESEBALKEN. Der LESEBALKEN ist eine fahrbare Brücke. Er gibt den Besuchern die Möglichkeit des Überblicks, des Überschauens der permanenten Installationen.
Der LESEBALKEN kann vom Besucher jederzeit auch in fahrendem Zustand betreten werden. Der Zutritt erfolgt von einem festen Begleitsteg über eine Zustiegstreppe, die das Geländer des Begleitstegs überwindet. Die Zustiegstreppe ist gegenüber dem LESEBALKEN gelenkig gelagert und geländergeführt.
Aus technischer Sicht wird der Lesebalken über 2 Fahreinheiten bewegt. Eine Fahreinheit besteht aus einem 4-rädrigen Fahrwerk, an dem unten ein Drehkranz angeflanscht wird. Eine Fahreinheit erhält zusätzlich einen Längenausgleichsmechanismus. Die Fahrwerke werden mit elektrischen Antrieben ausgestattet. Ein Mess- und Steuerungssystem sorgt für die Regelung der Fahrbewegung und Fahrgeschwindigkeit. Vorgesehen sind prinzipiell langsame Fahrgeschwindigkeiten je nach Bedarf z. B. ein Bewegungszyklus über einen Monat, über einen Tag oder über eine Stunde (60m/h). Die Bewegung des Lesebalkens ist eine kalendarische, zugleich beobachtende, vergleichbar mit Uhrwerken, Sonnenuhren, Kamerawagen etc. Zur Sicherheit der Besucher besitzt der Lesebalken sämtliche Sicherheitseinrichtungen wie Fühlleisten, Not-Aus-Taster ...